Anstoß an einen Einspruch. Von Ramsis Kilani
Der Sammelband »Die Diversität der Ausbeutung: Zur Kritik des herrschenden Antirassismus« ist eine Intervention im gegenwärtigen Antidiskriminierungs-Diskurs. Die Herausgeberinnen erfüllen ihre Ankündigung und zeigen in »Diversität« gekleidete Vereinnahmungsdynamiken des Kapitalismus und die Grenzen eines liberalen Verständnis von Rassismus auf. Debatten zu Identität und Intersektionalität treffen den Zahn der Zeit. Der Band liefert breit gefächert marxistische Argumente für das Primat von Klasse in Kapiteln zu Fragen von Arbeit, Migration, Polizei oder dem Aufstieg der Rechten. Dementsprechend erfreut sich das Buch in bestimmten Kreisen zurecht großer Beliebtheit. Damit wird ein marxistischer Diskurs angestoßen.
Dem Anstoß sind auch Grenzen gesetzt. Der Hauptgrund dafür ist nicht, was der Sammelband nicht behandelt. Die Grenzen basieren darauf, dass trotz gelungener Kritik an gegenwärtigen Konzepten die eigene Analyse keinen Grundstein für eine überzeugende Erklärung von Rassismus legt.
Die Rassismus-Herleitung der Herausgeberinnen beruht im Kern auf einem weit gefassten Konzept von Überausbeutung: »eine intensivierte Ausbeutung der Arbeitskraft. Diese wird erreicht, indem entweder ein im Verhältnis zum gesellschaftlichen Durchschnitt oder zur gesellschaftlich ausgehandelten Untergrenze geringerer Lohn gezahlt wird oder die Arbeitszeit über die Schranken des Normalarbeitstags hinaus verlängert wird.« (Sarbo 2022: 44) Die Definition stößt vor der Erklärung rassistischer Realitäten an Grenzen: etwa der über 3.800 anti-asiatischen Angriffe in den USA alleine im Pandemie-Jahr 2020 oder des tödlichen anti-asiatischen Anschlags Anfang 2023 in Atlanta. Asiatische Migrant:innen erreichen sowohl im Verhältnis zum gesellschaftlichen Durchschnitt als auch zu weißen US-Amerikaner:innen seit Jahren konstant höhere Löhne.
Rassismus lohnt sich nicht für weiße Arbeiter:innen. Antirassismus schon
Hinter der Fehleinschätzung steht die Annahme einer Pufferfunktion, durch die nicht-rassifizierte Arbeiter:innen aufstiegen (vgl. Sarbo 2022: 52). Ansätze wie von Marx und Du Bois, die eine lohndrückende Funktion miteinschließen, werden verworfen. Die These einer Pufferfunktion hält langfristig allerdings jenseits von Momentaufnahmen statistischen Überprüfungen nicht stand. In Studien wiesen etwa Szymanski oder Reich nach: Wo Schwarze Arbeiter:innen in Relation besonders wenig verdienen, erhalten auch weiße Arbeiter:innen niedrige Löhne – selbst niedriger als Schwarze Arbeiter:innen in anderen US-Regionen mit geringerem »Racial-Pay-Gap«.
Auch der zur Thesen-Untermauerung genutzte Fall der westdeutschen Gastarbeit greift nur als kurzlebige Momentaufnahme, nicht aber als Erklärung für Rassismus. Rassistische Ausbrüche setzen nicht als Automatismus durch Migration und Aufstieg inmitten des Wirtschaftsbooms der 50er an, sondern in den 70ern unter der Medienhetze gegen »Türkenstreiks« und der Entstehung der »Ausländer«-Kategorie inmitten von Krise und Klassenkampf. (Lies hier den marx21-Artikel: »Antimuslimischer Rassismus erfordert entschlossene Antwort«).
Eine weitgehende Ausblendung solcher Wechselwirkungen zwischen Basis und Überbau begünstigt ökonomischen Determinismus. Die Rolle von Imperialismus, Konturen des Klassenkampfes und politischer Kräfteverhältnisse muss in ein ganzheitliches Verständnis von Rassismus einbezogen werden. Aktuell hegemoniale Formen des Rassismus sind andernfalls nicht greifbar. Trotz unbestreitbarer Verdienste des Sammelbandes gegen Ansätze, die wirtschaftliche Verhältnisse ausblenden, besteht weiterführender Diskussionsbedarf zu Rassismus sowohl als Legitimation für ökonomische Ungleichheit und Konkurrenz als auch als Spaltungsstrategie der herrschenden Klasse im Kontext des Klassenkampfes und Imperialismus.
Das Buch:
Eleonora Roldán Mendívil & Bafta Sarbo (Hrsg.)
Die Diversität der Ausbeutung: Zur Kritik des herrschenden Antirassismus
Karl Dietz Verlag
Berlin 2022
196 Seiten
16 Euro
Titelbild: Oladimeji Odunsi