Das bekannteste Massaker des Krieges: In My Lai ermordete die US-Armee rund 500 Zivilist:innen.

Vietnam: Alptraum der Kriegstreiber

Der Kampf um Vietnam war einer der brutalsten Kriege des letzten Jahrhunderts. Und er ist beispielhaft für erfolgreichen Widerstand.

Der Einsatz in Vietnam erzeugte zunächst keine größere Aufregung. Nach einem Aufstand gegen den südvietnamesischen Diktator Diem im Jahr 1962 ordnete US-Präsident John F. Kennedy die »begrenzte« Bombardierung mit Napalm und Splitterbomben an. Daraufhin schlossen sich Zehntausende der vietnamesischen Guerilla, dem Vietcong an.

Bomben statt Soziales

1964 wurde der Demokrat Lyndon B. Johnson mit überwältigender Mehrheit zum Präsidenten der USA gewählt. Er hatte mit weitreichenden Reformversprechen, wie der Auflage eines milliardenschweren »Anti-Armut-Programms«, die Stimmen von Gewerkschaftern, linken Studenten und Schwarzen gewonnen. Doch die Hoffnungen wurden enttäuscht. Die Intervention in Vietnam wurde zum Krieg. Die Regierung pumpte das Geld nicht in die Sozialsysteme, sondern in den Krieg.

Das US-Außenministerium erklärte 1965: »Die Situation in Vietnam verschlechtert sich, ohne ein verstärktes US-Engagement ist eine Niederlage innerhalb des nächsten Jahres unabwendbar. Das internationale Prestige der USA und ein beträchtlicher Teil unseres Einflusses stehen in Vietnam auf dem Spiel.«

Die Regierung beschloss, den Krieg mit allen Mitteln zu gewinnen. So wurden allein 1968 mehr Bomben über Vietnam abgeworfen als im gesamten Zweiten Weltkrieg.

Antikriegsbewegung

Die Barbarei der Flächenbombardements machte die Kriegspropaganda vom Krieg für die Demokratie zur Farce.

Die Antikriegsbewegung ging zunächst von kleinen Gruppen an den Universitäten aus. Sie sorgten dafür, dass sich die Debatte über den Krieg wie ein Lauffeuer von Uni zu Uni ausbreitete. Regierungsvertreter wurden zu öffentlichen Debatten, den Teach-ins, eingeladen. Dort wurden sie vor Tausenden von Studenten durch die Argumente der studentischen Kriegsgegner demontiert.

Die Teach-in-Bewegung zog immer größere Kreise, bis hin zu einem Teach-in in Washington, das über Radio ins gesamte Land übertragen wurde. Das Interesse am Vietnamkrieg hatte für viele einen konkreten Grund: Ihre Einberufung zur Armee stand vor der Tür.

Aufstand im Ghetto

Die Enttäuschung über die Regierung, die aufgestaute Wut über Elend, Polizeigewalt und Rassismus entlud sich in Aufständen, die immer größer wurden.

Im Juli 1967 kam es nach Polizeiübergriffen zu bürgerkriegsartigen Auseinandersetzungen, bei denen in New Jersey 21 Schwarze von der Nationalgarde erschossen wurden. Fünf Tage lang rebellierte Detroit, die fünftgrößte Stadt der USA. Nach dem Aufstand lagen ganze Straßenzüge in Schutt und Asche, es gab 40 Tote (hauptsächlich Schwarze), 2.250 Verletzte und 4.000 Verhaftungen.

Die Bürgerrechtsbewegung radikalisierte sich und begann, die Verbindung zwischen ihrer Unterdrückung in den USA und der Unterdrückung der Vietnamesen durch die USA zu ziehen. Der Box-Weltmeister Muhammad Ali setzte ein Zeichen, als er sich seiner Einberufung mit den Worten widersetzte: »No Vietnamese ever called me a n***er!«

Die afroamerikanische Befreiungsbewegung inspirierte die Antikriegsbewegung und umgekehrt.

Tet: Der Wendepunkt

Weltweit saßen Jugendliche in den Startlöchern, deren über Jahre aufgestaute Wut über die herrschenden Zustände nur nach einem Ventil suchte, um sich entladen zu können. Den Initialzünder lieferte der Widerstand des Vietcong.

Als zur Jahreswende 1967/68 in Saigon Explosionen zu hören waren, dachten die US-Soldaten, es wäre gewöhnliche Böllerei anlässlich von Tet, dem vietnamesischen Neujahrsfest. Doch sie irrten. Der Vietcong hatte über Monate hinweg Tausende von Kämpfern in die Städte eingeschleust. Jetzt startete er mit 84.000 Mann eine Offensive, die zeitgleich auf 36 der 44 Provinzhauptstädte abzielte. In Saigon wurde die US-Botschaft von einem Vietcong-Kommando gestürmt.

Die US-Armee brauchte Wochen, um die Tet-Offensive zu stoppen. Sie legte dafür die angegriffenen Städte systematisch in Schutt und Asche. 14.000 Tote, 24.000 Verwundete und 800.000 Obdachlose unter der südvietnamesischen Zivilbevölkerung – das war die Antwort der USA.

68er-Revolte und Klassenkampf

Auch die Gegenseite erhöhte die Einsätze: Was als eine Reihe getrennter Bewegungen gegen verschiedene Aspekte des kapitalistischen Systems begonnen hatte, vereinigte sich jetzt zu einer weltweiten Rebellion gegen den Kapitalismus selbst.

Speerspitze der Rebellion war das Losbrechen einer internationalen Studentenbewegung. Aber 1968 war mehr als eine internationale Studentenbewegung. In Prag konnte eine Massenbewegung gegen die Diktatur nur durch den Einmarsch der Roten Armee gestoppt werden. In Paris kämpften Studenten drei Tage und Nächte auf den Barrikaden und verteidigten das Studentenviertel gegen paramilitärische Polizeieinheiten.

Der spektakuläre Kampf der Studenten löste in den folgenden Wochen aus, was als der »Pariser Mai« in die Geschichte einging: Einen Generalstreik von mehr als 10 Millionen Arbeitern.

Die Stimmung kippt

Millionen Menschen bewegten sich in rasanter Geschwindigkeit nach links. Revolutionäre Organisationen schossen auf der ganzen Welt wie Pilze aus dem Boden. Die Antikriegsbewegung wurde durch die Herausbildung eines organisierten revolutionären Rückgrats zu einem dauerhaften Faktor. In Vietnam selbst ging gleichzeitig das militärische Debakel der USA weiter.

Die Stimmung in den USA kippte. Johnson erlitt bei den Vorwahlen zur US-Präsidentschaft eine vernichtende Niederlage. Sein Nachfolger Richard Nixon sah sich gezwungen, von Truppenabzug zu reden. Im April 1970 aber verkündete er den Einmarsch der USA in Kambodscha.

Nachdem bei einer Demo vier Studierende durch die Nationalgarde erschossen wurden, gingen 350 Unis in einen Streik. An Massendemos beteiligten sich landesweit vier Millionen Studierende – 60 Prozent der gesamten Studierendenschaft.

Faktoren des Siegs

Der Kampf um Vietnam ist ein Lehrbuchbeispiel für den erfolgreichen Kampf gegen imperialistische Kriege. Der zähe und erfolgreiche Widerstand des Vietcong ermutigte Unterdrückte in aller Welt, sich ebenfalls zur Wehr zu setzen.

Der Aufbau von Vietnam-Solidaritäts-Komitees schuf eine Struktur, die die Lüge vom »Krieg für die Demokratie« zerstörte. Sie waren die Grundlage einer internationalen Antikriegsbewegung.

Teilen dieser Bewegung gelang es, den Kampf um Vietnam mit den Kämpfen gegen Rassismus, für höhere Löhne und vieles mehr zu verbinden. Gleichzeitig stampften sie revolutionäre Parteien aus dem Boden, deren politische Klarheit und organisatorische Schlagkraft die Bewegung ausweitete und radikalisierte.

Die Niederlage führte zum »Vietnam-Trauma« der Herrschenden in den USA. Sie haben den Krieg nicht militärisch in Vietnam verloren, sie verloren ihn politisch. Den Krieg zu beenden und die Niederlage einzugestehen, war der Preis, den die Herrschenden zu zahlen sich gezwungen sahen, um die weltweite Bewegung einzudämmen – und ihre Herrschaft zu erhalten.


Titelbild: US-Army

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