Der von Bomben zerstörte Gazastreifen

Ewiger Krieg als Drecksarbeit für den Westen

Leseempfehlung zu Michael Lüders‘ »Drecksarbeit? Israel, Amerika und der imperiale Größenwahn im Nahen Osten«. Von Frank Dunne.

Seit Ende 2023 arbeitete Michael Lüders an dem Manuskript für sein neuestes Buch. Zentrales Thema des Buchs sind die imperialistischen Interessen westlicher Staaten unter Führung der USA im Nahen Osten. Es weist mit einer Vielzahl von Fakten und Zitaten nach, wie diese versuchen, ihre Interessen mit allen Mitteln bis hin zu Staatsstreichen, Kriegen mit unzähligen zivilen Opfern und jüngst in Gaza sogar mit Völkermord durchzusetzen.

Sicher hat der Autor im Verlauf der Arbeit am Manuskript einige Buchtitel in Erwägung gezogen. Doch mit der Aussage von Bundeskanzler Merz »Das ist die Drecksarbeit, die Israel macht für uns alle«, im Juni 2025 lag der Buchtitel quasi auf der Hand: »Drecksarbeit? Israel, Amerika und der imperiale Größenwahn im Nahen Osten«

Israel hatte gerade Atomanlagen und andere Ziele in Iran aus der Luft bombardiert. Die Aussage von Merz signalisierte einerseits die Zustimmung des Kanzlers für diesen Angriff und wies andererseits auf die Rolle Israels im Nahen Osten hin: die Rolle des stets angriffsbereiten Staates, der sich auch gerade militärisch für die Interessen der westlichen Staaten einsetzt.

Herausragend: Klartext über den israelischen Völkermord in Gaza

In deutschen Medien wird üblicherweise versucht, den Völkermord gegen die Menschen in Gaza durch Weglassungen oder besondere Sprachregelungen nicht zu benennen. Das Buch ragt hier aus der Masse der Publikationen besonders hervor, weil es klar Stellung bezieht. Lüders schreibt Klartext, weist insbesondere auch auf die deutsche Unterstützung des Völkermords hin und ruft sogar dazu auf, aktiv zu werden:

»Doch lässt sich ein Völkermord in der Gegenwart nicht durch einen Völkermord in der Vergangenheit beschönigen oder relativieren. Ganz gleich, wer ihn begeht: Es gilt die eigene Stimme lautstark zu erheben und alles zu tun, um ihn zu beenden.«

Kurz aber faktenreich werden wesentliche Ereignisse skizziert, die letztlich zum Völkermord führten: die Nakba, die Vertreibung von mehr als 750.000 Palästinenser:innen aus ihren heimatlichen Städten und Dörfern im Jahr 1948; die Besetzung der Westbank, der Golanhöhen und des Gaza-Streifens im Jahre 1967; die spätere Abriegelung Gazas 2008 und natürlich auch den Ausbruch antikolonialer Gewalt vom 7. Oktober 2023.

Mit vielen Zitaten belegt Lüders die völkermörderische Sprache führender israelischer Politiker und entlarvt den Zynismus und Verlogenheit im Umgang mit Fakten. Er schreibt:

»Die offizielle Darstellung der Ereignisse am 7. Oktober infrage zu stellen – darunter auch die propagandistische sehr wirkmächtige, aber erfundene Behauptung, die Terroristen hätten Babys geköpft -, komme einer Holocaust-Leugnung gleich« und sei antisemitisch.

Die besondere Stärke des im größten deutschen Literaturkonzern Bertelsmann erschienenen Buches ist, die Geschichte des Völkermords aus einer objektiven Perspektive heraus zu beschreiben und dabei die Doppelmoral des Westens aber auch besonders der Deutschen Staatsräson klar zu benennen.

Putsche, Kriege, Völkermord

Doch das Thema des Buchs ist viel weiter gefasst und von der Lektüre werden alle profitieren, die sich über Gaza hinaus für die Region interessieren. Im Buch skizziert Lüders die Einflussnahme verschiedener Mächte auf die ölreichste Region der Welt. Besonders positiv ist, dass er nicht nur die Einflussnahme des Westens betrachtet, sondern auch die imperialistischen Interessen Russlands, Chinas oder kleinerer, regionaler Länder wie der Türkei und dem Iran in der Region nicht unterschlägt.

Alle wesentlichen historischen Ereignisse mit imperialistischem Hintergrund in der Region werden beleuchtet:

Der Putsch des CIA und des britischen Geheimdienstes gegen den demokratisch gewählten iranischen Präsidenten Mossadegh im Jahr 1951; die iranische Revolution 1978 und das daraus folgende Regime; der vom Westen angestachelte Krieg Iraks gegen Iran, um dort die neue Regierung zu schwächen (inklusive der Unterstützung Saddam Husseins, der von den USA, Deutschland und Frankreich geliefertes Giftgas zuerst an der Front, dann aber auch im Inland gegen die kurdische Bevölkerung einsetzte); die dann einsetzenden Kriege der USA gegen den vormaligen Bündnispartner Irak; die jüngsten Angriffe Israels und der USA gegen Atomanlagen und andere Ziele im Iran und vieles mehr.

Aber: Was ist eigentlich Imperialismus?

Auch die imperialistische Einflussnahme durch verschiedene Mächte in Libanon und Syrien wird beschrieben – besonders auch die häufigen Angriffe und Bombardierungen durch Israel. Lüders geht davon aus, dass die mehrfach von israelischen Politikern proklamierten Pläne für eine Expansion der Landesgrenzen auf Kosten seiner Nachbarstaaten für einen ewigen Krieg in der Region sorgen wird, der es westlichen Mächten ermöglicht, die Region auf lange Sicht in ihrem Sinne neu aufzuteilen.

Lüders benennt die menschenverachtenden Auswirkungen des imperialistischen Ringens und die handelnden Staaten. Auch das zentrale Interesse benennt er: Ausweitung der eigenen Einflusssphären auf Kosten des Einflusses des Rivalen. Letztlich geht es um die Kontrolle der öl- und erdgasreichen Weltregion.

Was er aber nicht benennt ist, dass diese imperialistische Konkurrenz sich direkt aus dem kapitalistischen System ergibt. Imperialismus ist die Ausweitung der kapitalistischen Konkurrenz auf die Ebene der Konkurrenz zwischen den Nationen. Die brutale imperialistische Politik ist nicht etwa die Folge von persönlichen Fehlern einiger besonders rücksichtsloser Regierungen oder Führer – Lüders spricht schon im Titel von imperialem »Größenwahn« – sondern ist die höchste Stufe des Kapitalismus. Es ist ein Ringen um Absatzmärkte, lohnende Investitionsmöglichkeiten und Rohstoffquellen.

Dies bedeutet, dass innerhalb des kapitalistischen Konkurrenzsystems kein Frieden möglich sein wird. Die Schwäche des einen imperialistischen Akteurs werden die anderen dazu nutzen, ihre Einflusssphäre auszuweiten, um ihn letztlich auch kriegerisch aus dem Rennen oder der Region zu werfen. Und dieser Kampf wird ununterbrochen geführt.

Aus diesem Grund setzen Sozialist:innen sich für eine solidarische und planvolle Gesellschaftsordnung ein und streben nach dem Sturz des Kapitalismus. Lüders erkennt aber das kapitalistische Konkurrenzsystem nicht als treibenden Motor des Imperialismus. Aus diesem Grund setzt er sich auch nicht für eine massenhafte Aktivität von unten gegen Unterdrückung und Ausbeutung ein, sondern verweist im Wesentlichen auf ein Umdenken bei den Machteliten. Dies ist ein zentraler Schwachpunkt des Buches.

Die Flüchtlinge und die AfD

Es gibt noch einen weiteren Kritikpunkt. Im Zusammenhang mit dem Staatszerfall und dem Bürgerkrieg in Syrien schreibt Lüders, dass eine Folge der Flucht von Millionen Menschen aus Syrien der Aufstieg der AfD war.

Dieses Argument passt in das Narrativ des Bündnisses Sarah Wagenknechts, für das Lüders politisch aktiv ist. Aber den Opfern von Rassismus die Schuld an der Entstehung des Rassismus zuzuweisen, ist falsch und zynisch. 

Durchaus empfehlenswert

Bei Diskussionen mit Kolleg:innen, Kommiliton:innen oder innerhalb der Familie über Gaza, Palästina und den Nahen Osten allgemein hat man oft das Gefühl, es fehlt an einer gemeinsamen Faktengrundlage über die Geschichte Palästinas, Israels und allgemein des Nahen Ostens.

Behält man bei der Lektüre die vorher genannten Kritikpunkte im Blick, ist das Buch – besonders aufgrund seiner Klarheit, was den israelischen Völkermord in Gaza angeht, durchaus empfehlenswert.

Michael Lüders – »Drecksarbeit? Israel, Amerika und der imperiale Größenwahn im Nahen Osten« Goldmann Verlag 978-3-442-30250-5

Titelbild: rawpixel.com

zum Beginn