Sozialismus von unten sprach mit einer Lehrerin, die an einer Hamburger Schule eine Gaza-AG gegründet hat.
Hallo Sabine, du hast kürzlich an deiner Schule eine Gaza-AG gegründet. Was war deine Motivation? Was wolltest du damit erreichen?
Nunja, ich (und andere natürlich) habe die Situation im Gazastreifen ja nun seit mehr als 2 Jahren beobachtet und ich konnte das Leid der Menschen zunehmend weniger ertragen. Woanders leiden Menschen ja auch, aber hier war die Situation aus zwei Gründen besonders schrecklich auszuhalten in meinen Augen:
Einerseits dieses unmittelbar willentlich und mit voller Absicht herbeigeführte Leid durch die Israelische Regierung und das Militär, andererseits die Reaktionen darauf in Deutschland. Dass die Bundesregierung zu feige war und ist, konsequent Position zu beziehen und auch die engen Beziehungen zu Israel zu nutzen, um Einfluss zu nehmen, hat mich wütend gemacht.
Gleichzeitig habe ich so eine krasse Verunsicherung in der Zivilgesellschaft wahrgenommen: Die Linke (sowohl als Strömung als auch als Partei) ist in der Sache unsäglich zerstritten, eine Bewegung auf der Straße war lange kaum sichtbar und in erster Linie von migrantischen Personen getragen.
Ähnlich sieht es bei uns schulintern ja auch aus – und das ist sicher beispielhaft: Es gibt keine gemeinsame Diskussion zu dem Thema, keine gemeinsame Haltung, stattdessen sehr lautes Schweigen – und auch teilweise Streit, aber wenig offen ausgetragen.
Viele Kolleg:innen haben Angst oder Scheu, in ihren Klassen darüber zu sprechen, weil sie sich nicht gut genug auskennen. Weil sie befürchten, dass jemand groben Unfug redet, den sie dann wieder einfangen müssen. Weil sie selber nicht wissen, welche Position sie beziehen sollten oder dürfen.
Die Befürchtung, dass sich jemand in dem Kontext antisemitisch äußert, ist riesig. Ebenso wie die Angst, selbst als antisemitisch bezeichnet zu werden, wenn man das Vorgehen Israels zu scharf kritisiert.
Da ist auch eine verheerende Unklarheit, was genau eigentlich Antisemitismus ist. Deshalb ziehen sich viele auf die Haltung »Das ist total kompliziert und man kann sich da keiner Seite anschließen« zurück.
Für viele Schüler:innen ist das extrem unbefriedigend und frustrierend, weil sie mit ihren Fragen, ihren Gefühlen und ihren Sorgen nirgendwo hin können und sich auch nicht ernst genommen fühlen.
Ich wollte dem wenigstens in meinem direkten Umfeld ein Ende bereiten und einen Rahmen schaffen, in dem die Ohnmacht ein kleines bisschen durchbrochen werden kann.
Wir sind jetzt eine Gruppe von ungefähr vier Lehrkräften und 10 Schüler:innen. Die Besetzung wechselt von Treffen zu Treffen leicht, wir treffen uns ungefähr alle 14 Tage.
Viele von uns palästinasolidarischen Menschen haben Sorge, dass wir als Antisemiten abgestempelt werden. Konntest du das vermeiden?
Tja, das ist gar nicht so leicht. Das schwingt immer mit, sowohl die Sorge als auch der Vorwurf.
Wir haben als erste Aktion in der Mittagspause Waffeln verkauft und das Geld an medico international gespendet. Das war ein voller Erfolg.
Das mussten wir aber natürlich vorher von der Schulleitung genehmigen lassen und das war nicht ganz einfach, weil die Angst groß war, dass der Schulfrieden gestört werden könnte: Dass es entweder zu Konflikten kommen würde, dass Externe sich einmischen würden, dass es zu antisemitischen Äußerungen kommen würde.
Letztlich war nichts dergleichen der Fall. Es gab einen Ansturm auf die Waffeln, wobei es uns nicht ganz leicht fiel, den Spendencharakter und unser inhaltliches Anliegen deutlich zu machen.
Fast alle fanden die Idee wichtig, richtig und überfällig. Es gibt sowieso nur einige wenige im Kollegium, die da inhaltlich ernsthaft etwas dagegen haben. Aber sie werden im Sinne der »false balance« viel lauter und relevanter wahrgenommen als sie sind.
Wir wollen diese Aktion in der Vorweihnachtszeit noch einmal wiederholen und hoffen auf die Genehmigung.
Letztlich hat es auch der gesamten Schulleitung im Gespräch eingeleuchtet (oder war ohnehin klar), dass es mit Antisemitismus nichts zu tun hat, das Aushungern von zwei Millionen Zivilist:innen und das Niederschießen von Hilfesuchenden zu kritisieren.
Am Ende wurde der Charakter des Militäreinsatzes in Gaza ja auch in der deutschen Öffentlichkeit immer deutlicher. Insofern sind wir als AG auch ziemlich selbstbewusst, weil dieser Antisemitismusvorwurf einfach auch so absurd ist.
Was ist der Stand und wie geht es für euch weiter?
Wie gesagt, erstmal machen wir einen weiteren Waffelstand. Mittelfristig wollen wir schauen, wie wir das Gespräch über das Thema in der Schule weiter vorantreiben können, etwa im Rahmen einer Abendveranstaltung.
Das erfordert aber natürlich sehr viel Vorbereitung und Arbeit, da haben wir uns erstmal auf einfach Umsetzbares konzentriert. Wünschenswert wäre auch, Materialien für Schulklassen zusammenzustellen und Kolleg:innen zur Verfügung zu stellen. Wir wollen auch das Angebot machen, dass Mitglieder der Gaza AG in die Klassen kommen.
Außerdem wollen wir in der nächsten Zeit gemeinsam auf einen Filmabend gehen, auf dem »No other Land« gezeigt wird. Wir treffen uns etwa alle zwei Wochen und entscheiden dann jeweils, wie es weitergeht.
Sabine, ich danke dir für das Gespräch.
Titelbild: Angesichts der Lage im Gazastreifen ist Soliarbeit weiterhin nötig. (Foto: Attribution-ShareAlike 4.0 International)
