Die sudanesische Armee und die Rapid Support Forces (RSF) liefern sich seit 2023 einen brutalen Machtkampf im Sudan – und ertränken die Überreste der Revolution von 2018 mit ihrem Bürgerkrieg in Blut, argumentiert Nora (Berlin).
Sudan erlebt gegenwärtig eine der weltweit größten humanitären Krisen. Ende Oktober wurde die Stadt el-Fasher nach 18-monatiger Belagerung durch die RSF eingenommen. Bilder von Massenhinrichtungen und Folter gingen um die Welt.
Über 15 Millionen Menschen wurden bereits vertrieben, hunderttausende getötet. Seit dem April 2023 liefern sich die paramilitärische RSF und die Armee, die Sudanese Armed Forces (SAF), einen rücksichtslosen Machtkampf.
Gemeinsames Ziel: Zerschlagen der Revolution
Während beide Seiten sich erbittert bekämpfen, sind sie geeint in ihrem Ziel, die Revolution und was von ihr übrig geblieben ist, zu zerschlagen. Im Dezember 2018 entflammte in den entlegenen Regionen des Landes eine Welle von Protesten gegen den sudanesischen Diktator Omar al-Bashir.
Binnen Wochen wuchsen diese zu einer landesweiten Revolution, die Khartum erfasste und das Regime stürzte.
Al-Bashir war 1989 durch einen Militärputsch an die Macht gekommen und hatte seitdem jahrzehntelang in einer Militärdiktatur geherrscht. Seine Herrschaft basierte unter anderem auf der Spaltung der Bevölkerung in ethnische Gruppen. Seine Armee führte jahrelang ethnische Kriege in der Region Darfur und im Südsudan.
Gleichzeitig versuchte al-Bashirs Regime, aus der Bevölkerung Reichtum für die reiche sudanesische Minderheit und internationale Konzerne herauszupressen. Soziale Kürzungen, brutale Repression und eine tiefe Kluft zwischen Stadt und Land prägten die letzten Jahrzehnte.
Rasante Preissteigerungen waren zuletzt der Tropfen, der das Fass zum Überlaufen brachte und die Revolution entfachte.
Zunächst stellten sich Militär und RSF scheinbar auf die Seite der Protestierenden und setzten al-Bashir ab. Doch der kurze Moment der Einheit zwischen Armee und Revolution zerbrach rasch.
Die Menschen im Sudan forderten keine neue Militärherrschaft, sondern eine zivile Regierung. Ein Sit-in vor dem Armeehauptquartier in Khartum begann.
Am Morgen des 3. Juni 2019 eröffneten Sicherheitskräfte unter Beteiligung der RSF das Feuer auf die Menge. Über hundert Menschen wurden getötet, ihre Leichen im Nil versenkt. Doch der Versuch, den Widerstand im Blut zu ertränken, scheiterte – im ganzen Land flammten neue Proteste auf.
Internationale Unterstützung der Konterrevolution
Daraufhin wurde eine Übergangsregierung gebildet. Mit der Rückendeckung westlicher Staaten sicherte sich die Armee einen festen Platz.
Doch die Lebenssituation der Menschen verbesserte sich nicht: Neue Proteste erschütterten das Land, Rücktrittsforderungen wurden laut. Im Oktober 2021 nutzten die RSF und die sudanesischen Streitkräfte die Krise und putschten gegen den zivilen Premierminister.
Erneut gingen tausende auf die Straße. Nur wenige Wochen später konnte Hamdok seinen Weg ins Amt zurück verhandeln. Er stimmte einem Großteil der Forderungen des Militärs zu.
Volker Perthes, ehemaliger Direktor der deutschen Stiftung Wissenschaft Politik, half diesen Deal auszuhandeln. Die Verhandlungen fanden hinter geschlossenen Türen statt, und die Basis der Revolution wurde von der Beteiligung ausgeschlossen.
Nach weiteren Protesten gegen die wirtschaftliche Situation und das Militär trat Hamdok schließlich zurück und General Abdel Fattah al-Burhan übernahm den Vorsitz des Regierungsrats.
Während die Menschen auf den Straßen für eine zivile Regierung und soziale Gerechtigkeit kämpften, saßen Vertreter:innen westlicher Staaten und Finanzinstitutionen mit ehemaligen Milizenführern und Militärs an einem Tisch und sicherten diesen eine zentrale Rolle in der Zukunft des Landes zu.
EU-Migrationsabwehr heizt Bürgerkrieg an
Diese Unterstützung reicht bis lange vor die Revolution zurück. Der Sudan ist ein Transitstaat für Migrant:innen und damit ein zentraler Akteur in der Migrationsabwehr von EU und Deutschland.
Bereits der sogenannte Khartum-Prozess von 2013/14 zwischen der Afrikanischen Union, der EU und dem Sudan zielte darauf ab, die sudanesischen Grenzen für den Transit zu schließen. Gelder, die im Zuge dieser Kooperation flossen, gelangten auch an die RSF, die damals noch als Janjaweed bekannt waren. Diese Milizen hatten bereits in Darfur Zehntausende Menschen getötet, verletzt, vergewaltigt und vertrieben.
Die aktuelle Situation ist geprägt von zahlreichen imperialen Interessen und Regimen, die ihre geopolitischen und wirtschaftlichen Interessen nach außen absichern. Der Sudan ist aus geopolitischer Sicht relevant: Als Drehscheibe im globalen Migrationsmanagement, aber auch als Zugangspunkt zum Roten Meer und Quelle begehrter Rohstoffe, insbesondere fruchtbares Ackerland am Nil und Gold.
Die Vereinigten Arabischen Emirate, deren Ernährungspolitik auf gigantische Farmen im Sudan setzt, unterstützen die RSF. Über diese Kanäle gelangen auch Waffen aus dem Vereinigten Königreich ins Land.
Deutschland liefert ebenfalls Waffen an die Emirate – und beliefert damit zumindest indirekt die sudanesischen Milizen. Auch China, die Türkei und Russland rüsten die Konfliktparteien aus.
Russland sichert sich darüber hinaus Zugriff auf sudanesisches Gold, um den Krieg in der Ukraine zu finanzieren. So ist die Kontrolle über Ressourcen, vor allem in den ländlichen Gebieten, zentraler Bestandteil der aktuellen Kämpfe.
Insbesondere, da die Revolution in den Gebieten außerhalb der Metropolen die Ausbeutung der Peripherie und ihrer Ressourcen in Frage gestellt hatte.
Die Notwendigkeit einer Revolutionäre Partei
In den letzten zehn Jahren erstarkten oppositionelle Strukturen, besonders seit der Revolution. Gewerkschaften gewannen an Einfluss, und Widerstandskomitees breiteten sich bis in die entlegensten Nachbarschaften aus – mehr als 5.000 im ganzen Land.
Organisiert auf lokaler Ebene, entwickeln sich dort auch Forderungen nach einem anderen Gesellschaftsmodell, so kursieren in den jahrzehntelang vernachlässigten Gebieten radikale Ideen und sozialistische Wirtschaftsmodelle finden Anklang. Dennoch war die Opposition nicht in der Lage, das Militär grundlegend zu reformieren oder zu verdrängen.
Gleichzeitig gelang es auch den Streitkräften nicht, die Revolutionäre für sich zu gewinnen oder die Bewegung zu zerschlagen. Eine Pattsituation entstand – ein fragiler Gleichgewichtszustand, der den Boden für die heutigen Kämpfe bereitete.
Die sudanesische Revolutionärin und Forscherin Muzan Alneel weist auf ein zentrales Problem hin: das Fehlen einer revolutionären sozialistischen Partei. In der komplexen und sich rasch verändernden Gemengelage fehlt dadurch die Orientierung.
Wie Muzan in einem Interview mit Socialist Worker betont: »Uns fehlte eine sozialistische Stimme, die sagt, dass wir uns nicht auf einen Kompromiss mit dem Militär einlassen sollten.«
Anders als Widerstandskomitees, die auf Nachbarschaften basieren und politisch divers sind, kann eine sozialistische Partei durch ihren Klassencharakter eine eigenständige, strategische Rolle einnehmen. Dabei kann sie als kollektives Gedächtnis für Revolutionär:innen fungieren.
Erfahrungen aus früheren Kämpfen – national wie international, etwa aus der ägyptischen Revolution und den dortigen Erfahrungen mit Militär in revolutionären Umbrüchen – bleiben so präsent und handlungsleitend.
Bild: Folgen des Bürgerkrieges sind auch in der Hauptstadt Khartoum spürbar. (INSTAGRAM @LOSTSHMI via REUTERS)
